An einem gewissen Punkt seines inneren Lebens angelangt, ist man in großer Gefahr, in eine Art von zu starker Überzeugung von der Unwirksamkeit aller eigenen Kraft und dadurch in einen unrichtigen Quietismus1 oder Fatalismus2 zu verfallen.
Es darf uns keineswegs gleichgültig werden, was wir tun und wie wir es tun. Im Gegenteil, wir müssen allen Fleiß und alle unsere Begabung ernstlich anwenden – aber aus Pflichtgefühl und Liebe zu Gott, nicht aus Ehrgeiz oder Habsucht – und dann den Erfolg davon Gott anvertrauen.
Dann geht alles gut, ohne jede Reklame, und es werden uns sogar äußere Fehler, die wir dabei noch begehen, zum Vorteil gewendet. Das kann man auch versuchen, wenn man es nicht glaubt.
Es gibt kein einziges Menschenleben, selbst nicht das eines Propheten oder Apostels, in dem nicht zeitweise eine tiefe Entmutigung Platz greift. "Herr, nimm meine Seele, ich will nicht besser sein als meine Väter", das hat schon jeder in dunklen Stunden seines Lebens gesagt. Woher diese Mutlosigkeit kommt, wissen wir in vielen Fällen nicht, aber das wissen wir immer: dass wir ihr nicht nachgeben sollen. Ein Kapitulant ist im Krieg um das Reich Gottes auf Erden immer ein Verräter. Tue deine Pflicht – wenn du kannst mit freudigem Mut, sonst ohne ihn. Das ist noch verdienstlicher und bringt größere Frucht.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)
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Der Quietismus ist eine Sonderform der christlichen Theologie, in der völlige Ruhe und Gleichmut als erstrebenswerter Idealzustand angesehen wird. Vgl. Wikipedia-Artikel. ↩
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Fatalismus ist eine Weltanschauung, die davon ausgeht, dass das Geschehen in Natur und Gesellschaft durch das Schicksal unabänderlich bestimmt wird. Vgl. Wikipedia-Artikel. ↩