Einmal, an einem Tag des beginnenden Alters, muss man mit der Vergangenheit abschließen – ohne Zorn, ohne rückblickendes Bedauern; das Buch schließen und es nicht mehr öffnen. Dankbar für alles Gute darin, dankbar besonders, dass alles zu einem guten Ende führte, und dankbar schließlich, dass vieles nun nie mehr geschehen muss, sondern auf immer erledigt ist.
Dann vorwärts zu dem »ewigen« Leben, das ein ganz anderes ist. Die Bedingungen zum Eintritt stehen in Joh 17 3 und Joh 6 40; die Perspektive ist eine fortan unbegrenzte.
Dazu ist aber noch etwas zu sagen: Das ist nicht nur die »Vergebung der Sünden«, das ist noch etwas mehr, nämlich das eigene Vergessen der Sünden.
Diesen Unterschied zwischen »Vergeben« und »Bedecken« scheinen auch Röm 4 7 und Ps 32 1 zu machen. Das sind zwei verschiedene Stufen, die auch zeitlich weit auseinanderliegen können. Aber nur, wenn jede Erinnerung an das Böse im Menschen selber getilgt wird, ist die göttliche Vergebung vollendet, da dann auch kein Rückfall mehr zu befürchten steht, gegen den eben diese schmerzhafte Erinnerung noch schützen soll.
Der Lethefluss1, in dem die Erinnerung an alle Schuld und überhaupt an alles Hässliche und Schwere des Lebens versinkt (so dass nur das beseligende Gefühl der unendlichen Gnade Gottes übrig bleibt), liegt bei Dante nicht jenseits, im Paradies, sondern noch diesseits, am Berg der Läuterung (Purgatorio). Aber nur der wird schon hier von allen schmerzlichen Erinnerungen an die Vergangenheit befreit, der vorher alle seine Fehler aufrichtig anerkannt und wahrhaft bereut hat.
Purgatorio 28 127–128 Purgatorio 29 3 Purgatorio 30 142–145
Purgatorio 31 40-42 Purgatorio 31 94–103
Lethe
»Vergebung« ist ein Wort voll Huld;
Doch ist es nicht das letzte Wort:
Wir wollen nicht an unsre Schuld
Erinnert sein am Gnadenort.Wir wollen die Erinnrung nicht
In unsres eignen Herzens Schrein;
Es soll in hellstem Sonnenlicht
Ein neues Leben nun gedeih’n.Wir wollen die Erinnrung nicht
An das, was andre uns getan;
Der Mund, der von »Vergebung« spricht,
Klagt sonst im Herzen wieder an.Wir wollen einen Himmel nicht,
In den das Erdendenken reicht;
Wir wollen einen Strom von Licht,
In dem der letzte Schatten bleicht.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)
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Die Lethe ist ein Fluss in der Unterwelt der griechischen Mythologie. Wer von seinem Wasser trinkt, verliert alle Erinnerungen. ↩