Dann fängt das Leben an glücklich zu werden, wenn man alles, was kommt, aus Gottes Hand nehmen kann, nicht mehr viel sorgt und nur durch offene Türen geht. Vorher ist es eine einzige große Mühsal, mit einigen Erholungspausen, die meistens noch mit Selbsttäuschung verbunden sind.
Die »Nähe Gottes« oder das »Wohnen« des göttlichen Geistes in einer menschlichen Seele, das bildet eigentlich das Glück derselben. Dieses Wohnen kann in einer noch sehr unvollkommenen Seele stattfinden, sobald sie es über alle anderen Güter schätzt, und in einer relativ sehr vollkommenen nicht, wo dies nicht der Fall ist; die Erstere wird dadurch nach und nach mit Sicherheit gereinigt; die andere kommt durchaus nicht vorwärts.
Auch wir lieben unvollkommene Freunde, die uns aufrichtig ergeben sind, weit mehr als viel höher begabte, denen wir im Grunde mehr oder weniger gleichgültig sind — und sind bereit, für die einen alles zu tun, für die andern aber nicht.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)