Nur der innere Mensch in uns, der mit dem äußeren in einer nicht ganz begreiflichen Verbindung steht, kann die Einflüsse Gottes empfangen; auch der Empfang des heiligen Abendmahls wendet sich an ihn, nicht an den äußerlich sichtbaren.
Insofern gingen Luther und Zwingli in ihrem Streit1 gar nicht auf die Natur der Sache ein. Luther hatte im Grunde recht, fasste die Sache aber zu grobsinnlich auf. Das Abendmahl hat eine sehr reelle Kraft in sich und ist nicht bloß ein »Zeichen und Sinnbild« oder »Siegel« vergangener Dinge; aber es ist eine geistige Kraft, und sie wendet sich an den geistigen, inneren Menschen; eine Wesensverwandlung2 außerhalb desselben ist von Christus nie gemeint gewesen. Für den äußeren Menschen bleiben Brot und Wein, was sie naturgemäß sind; für den inneren aber haben sie die Kraft, die geistige Natur Christi mitzuteilen.
Der Wahrheit kommt man näher durch die katholische und lutherische Auffassung als durch die heutige protestantische Betrachtung der Sache, nach der das Abendmal nur eine kirchliche Feierlichkeit ist. Dies ist allzu nüchtern und bietet eigentlich niemandem eine reelle Hilfe.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)
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Gemeint ist der Abendmahlsstreit in der Reformationszeit. ↩