Die Fragen des Materialismus oder Monismus oder Pantheismus, oder was es sonst noch für wissenschaftliche Ausdrücke für den Unglauben an Gott gibt, lass dich nicht ernstlich anfechten.
Das ist eine willkürliche und sogar unwahrscheinliche, täglich widerlegte Behauptung, dass nur das sinnlich Erkennbare wirklich vorhanden sei; und ebenso unvernünftig und abstoßend ist die Idee, dass jeder Stein auf der Gasse oder jedes Stück Holz Gott sei. Hinter der wahrnehmbaren Welt muss eine Intelligenz stehen, wie hinter jeder menschlichen Produktion eine solche steckt, und diese Intelligenz nennen wir eben Gott. Aber unerforschlich mit menschlichen Gedanken ist sie; darin hätte der Materialismus recht, wenn er nur das behauptete.
Daher sagt auch Goethe (in Eckermanns Gesprächen, 11. April 1827):
Es gibt in der Natur ein Zugängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man wohl und habe Respekt. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überall nur wissen, wiewohl es immer sehr schwer bleibt zu sehen, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich am Unzugänglichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber weiß und klug ist, wird sich am Zugänglichen halten, und indem er in dieser Region nach allen Seiten geht und sich befestigt, wird er sogar auf diesem Wege dem Unzugänglichen etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch zuletzt gestehen wird, dass manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade beizukommen ist und die Natur etwas Problematisches hinter sich behalte, welches zu ergründen die menschlichen Fähigkeiten nicht hinreichen.
Soweit wenigstens sollte jetzt jede verständige Naturwissenschaft gehen; dann könnte von einem unlösbaren Konflikt zwischen ihr und dem Glauben, der so viele die Wahrheit suchende Seelen ängstigt, nicht mehr gesprochen werden.
Dahin kommt es auch mit Sicherheit. Der reine Materialismus, oder der Pantheismus befriedigt niemanden mehr recht, und mit dem bloßen Nichtswissen und Nichtsglauben, sondern bloß den Augenblick gedankenlos genießen, wird sich ein edler gearteter Geist auch nicht zufriedengeben können.
Alle Religionen sind nur Versuche, das an sich Unaussprechliche einigermaßen auszudrücken, damit man darüber überhaupt miteinander reden kann, was sonst nicht möglich wäre. Und das Christentum ist ohne allen Zweifel der adäquateste Ausdruck für die Sache.
Nur werden Sie, wenn Sie die Evangelien aufmerksam lesen, bald bemerken, dass Christus selber über die »Natur« und die »Eigenschaften« Gottes weniger gesagt hat, als jedes Kind im heutigen Religionsunterricht lernen muss.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)