Es ist eine herrliche Sache, dass es so viel braucht, um eine Menschenseele vom rechten Weg abzubringen, wie es der erste Teil des Faust-Gedichtes in ergreifender Weise darstellt. In den meisten Fällen schafft es der Teufel gar nicht ohne Zuhilfenahme edler Motive. Dagegen genügt ein einziger Ausblick oder Aufschrei zu Gott, um alle Arbeit des Teufels zunichtezumachen. Weil es aber so leicht ist, sich aus seinen Schlingen zu befreien, wenn man hineingeraten ist (leichter als sie überhaupt zu vermeiden), ist es nur gerecht, dass die Verzagten und die Pessimisten, die auch dies Wenige nicht tun mögen, ein hartes Urteil trifft.
Brich die Ketten, in denen du dich fühlst; sie sind nur für deine eigene Kraft zu fest, aber nicht für die göttliche Macht, die Du in jedem Augenblick haben kannst. Es fehlt noch irgendetwas in dir, was du ändern kannst, wenn die Hilfe nicht eintritt. Auch das wird dir Gott zeigen, wenn du es nicht kennst. In den meisten Fällen kennst du es aber nur zu gut.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)