Jedem großen Fortschritt geht gewöhnlich eine Versuchung zur Verzweiflung voran und jedem großen Leiden eine ungewöhnliche innere Freudigkeit und Kraftempfindung, durch die uns Gott dazu stärken will. Ich bin nie so unglücklich gewesen als vor erheblichen Erfolgen, und so freudig und kräftig gestimmt als vor schwersten Lebensereignissen.
Wenn du melancholisch oder ängstlich oder sonst missgestimmt bist, dann nimm Dir gleich eine ernstliche Arbeit vor oder, wenn sich das nicht leicht tun lässt, dann mache jemandem (dem »Nächsten« im Sinne des Evangeliums) eine kleine Freude. Das wird immer möglich sein. Das ist weit zweckmäßiger, als mit irgendeinem Genuss oder einer Zerstreuung den finsteren Geist bannen zu wollen. Das ist die gewöhnliche Praxis, bei der er aber bald wiederkehrt.
Bei anderen ist eine Missstimmung oft durch ein kleines Geschenk leichter zu vertreiben als durch ein großes Ermahnen und Zureden.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)