Die Liebe macht viel klüger als alles andere. Sie allein gibt den rechten, durchdringenden Einblick in das Wesen der Menschen und Dinge und in die richtigen Wege und Mittel, mit denen ihnen zu helfen ist.
Man tut daher in den meisten Fällen gerade so gut zu fragen, was ist das Liebevollste in dieser oder jener Sache, statt, was ist das Klügste; denn das Erstere ist viel leichter wahrnehmbar als das Letztere. Darüber täuscht sich auch der wenig Begabte nicht so leicht, wenn er sich nicht täuschen will, während auch der Talentvollste bloß mit Klugheit nicht alle kommenden Ereignisse richtig voraussehen und beurteilen kann.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)