Ja, es ist viel Elend in der Welt. Aber auch viel starke Hilfe dagegen, wenn man sie am rechten Ort sucht. Und am Ende eine völlige Erlösung davon, wenn man sie nicht ablehnt.
Es ist ein verhängnisvoller Irrrum der meisten Unglücklichen, zu glauben, dass die äußeren Umstände über das Glück und das Unglück des Lebens entscheiden und nicht die innere Haltung. Um ein ganz starkes Beispiel zu gebrauchen: Die Strafgefangenen in zivilisierten Ländern, die zwar ein sehr einförmiges Leben vor sich sehen, jedoch eines in sorgenloser Armut, Demut und gehorsamer Pflichterfüllung, sind gut dran, sofern sie an Gott glauben können, besser als viele Freie, die in unaufhörlichen drückenden Sorgen, bitterem Mangel am Notwendigsten, in Hass und Zorn oder in beständiger tatsächlicher Auflehnung gegen Gottes Gebote und ohne Gottes Nähe leben müssen, weil sie keinen Glauben haben.
Auch das Losungswort der Anarchisten "ni Dieu, ni maître" ("weder Herr noch Meister") kennzeichnet nur ihre mangelhafte Psychologie, denn diesen Zustand erträgt der Mensch am allerwenigsten. Die Freiheit wird ihm bald zur unerträglichen Leere, aus der heraus er wieder durch die Verbindung mit anderen irgendeine Art von Knechtschaft sucht, die oft viel härter ist als die gewöhnlichen Bande der sittlichen und gesellschaftlichen Ordnung.
(aus Carl Hilty: »Für schlaflose Nächte«, Leipzig/Frauenfeld 1908)